Was hat es mit Restnutzungsdauer, AfA und den Gutachten dazu auf sich?
Erwirbt man eine vermietete Bestandsimmobilie, dann ist die jährliche AfA, der dem Gebäude zuzuordnenden Anschaffungskosten, nach den Bestimmungen des § 7.4 Satz 2 des EstG bei Gebäuden die
b) vor dem 1. Januar 2023 und nach dem 31. Dezember 1924 fertiggestellt worden sind, jährlich 2 Prozent,
c) vor dem 1. Januar 1925 fertiggestellt worden sind, jährlich 2,5 Prozent
Und die Anschaffungskosten des Gebäudes werden demzufolge bei b) über eine Dauer von 50 Jahren und bei c) von 40 Jahren komplett steuerlich geltend gemacht.
Es spielt dabei keine Rolle, ob ein Gebäude erst 2020 oder schon 1970 errichtet wurden oder ob ein 1970 errichtetes Gebäude erst vor ein paar Jahren umfassend modernisiert wurde oder ob seit 1970 daran nur notwendige Reparaturen vorgenommen wurden. Die Restnutzungsdauer und der damit verbundene AfA-Satz sind immer gleich.
In einem Rechtsstreit einer Eigentümerin einer solchen Immobilie mit dem Finanzamt über Abweichungen von dieser starren Regelung mit einer kürzeren Restnutzungsdauer und damit einer höheren AfA, gab es 2021 ein Urteil beim BFH (IX R 25/19) mit folgenden Leitsätzen:
„ … 1. NV: Der Steuerpflichtige kann sich zur Darlegung der verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer eines zur Einkünfteerzielung genutzten Gebäudes (§ 7 Abs. 4 Satz2 EStG) jeder Darlegungsmethode bedienen, die im Einzelfall zur Führung des erforderlichen Nachweises geeignet erscheint; erforderlich ist insoweit, dass aufgrund der Darlegungen des Steuerpflichtigen der Zeitraum, in dem das maßgebliche Gebäude voraussichtlich seiner Zweckbestimmung entsprechend genutzt werden kann, mit hinreichender Sicherheit geschätzt werden kann.
2. NV: Die Vorlage eines Bausubstanzgutachtens ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung einer verkürzten tatsächlichen Nutzungsdauer. ….“
Das Bundesfinanzministerium hat in einem Schreiben vom 22. Februar 2023 (2023/0158670) an alle Finanzämter sehr hohe und weitgehende Anforderungen an den Nachweis von kürzeren Restnutzungsdauern, auf dieser Basis, gestellt.
Diese wurden in einem Urteil des Bundesfinanzhofes (IX R 14/23) teilweise verworfen. Darüber hinaus wurde das Verfahren, welches in den beiden Prozessen vor dem Bundesfinanzhof zur Anwendung kam, als mögliche Grundlage zur Feststellung einer kürzeren Restnutzungsdauer bestätigt. In beiden Fällen wurde die Restnutzungsdauer von einem Sachverständigen auf der Basis der ImmoWertV bestimmt. Grundlage muss dabei eine sachverständige Begutachtung zu den individuellen Gegebenheiten des Gebäudes sein, z.B. zu durchgeführten oder unterlassenen Instandsetzungen oder Modernisierungen. Auf dieser Basis kann mit dem entsprechenden Punkteraster zu Modernisierungen und dem Modell zur Bestimmung Restnutzungsdauer in der ImmoWertV, die Restnutzungsdauer als Basis für die Höhe der AfA des Gebäudes bestimmt werden. Der Verweis des Steuerpflichtigen selbst auf die entsprechenden Modelle und deren Anwendung genügt nicht. Es ist ein Sachverständigengutachten erforderlich.
Bei welchen Objekten ist eine kürzere Restnutzungsdauer wahrscheinlich?
Eine wesentlich kürzere wirtschaftliche Restnutzungsdauer liegt in der Regel z.B. bei vor 1945 errichteten Mehrfamilienhäusern vor, bei denen die letzte größere Modernisierungsmaßnahme 25 Jahre und länger zurück liegt. Dann werden häufig Restnutzungsdauern um die 20 Jahre festgestellt, die dann einen AfA-Satz von jährlich 5% ergeben. Bei Mehrfamilienhäusern dieser Baualtersklasse, die noch nie modernisiert wurden, ist auch eine Restnutzungsdauer von z.B. 12 Jahren mit einer AfA von mehr als 8% denkbar.
Lohnt sich die Beauftragung eines solchen Gutachtens?
Wichtig ist vorab die Hinzuziehung des Steuerberaters um zu klären ob die Höhe der noch nicht abgeschriebenen Anschaffungskosten des Gebäudes und die persönliche Steuerlast, die Option der Abschreibung auf Basis einer geringeren Restnutzungsdauer mit höheren AfA-Sätzen wirtschaftlich sinnvoll erscheinen lassen.
Der nächste Schritt ist die Kontaktierung eines Sachverständigen, der die Erstellung solcher Gutachten anbietet. Anhand des Angebotes zu den Kosten des Gutachtens und einer Prognose zur erwartbaren Größenordnung der Restnutzungsdauer, kann man dann entscheiden, ob ein Gutachten über die Restnutzungsdauer wirtschaftlich ist.
Das genaue Ergebnis und die Möglichkeit der Option der Restnutzungsdauer als Grundlage für die AfA der verbliebenen Anschaffungskosten des Gebäudes, gibt natürlich erst das Gutachten.